Wolfgang Bönisch

Ein 9:2 im Fußball ist WIN-WIN?

Beziehungs- und Verhandlungsmanagement

Vor Kurzem wurde ich von einer Doktorandin interviewt, die zum Thema “Agentenverhandlung” promoviert. Damit sind Verhandlungen gemeint, die ein externer Verhandlungsführer leitet, also unter anderem das was ich unter den Stichworten Verhandlungsbegleitung und Ghost Negotiation anbiete.
Im Interview kamen wir auf den Begriff WIN-WIN und die Implikationen, die er für die Verhandlung und den Verhandlungsführer hat.
Ich erläuterte meiner Interviewerin, dass aus meiner Sicht auch ein objektiv schlechtes Ergebnis ein WIN-WIN sein kann. Als Metapher hierfür führte ich das für den HSV blamable Spiel in München an.
 

Beziehungs- und Verhandlungsmanagement
Beziehungs- und Verhandlungsmanagement

Weshalb das 9:2 von Bayern München gegen den Hamburger SV ein WIN-WIN ist

Okay, der HSV hat krachend verloren, von WIN keine Spur. Doch betrachten wir das Szenario mal aus der Warte der Verhandlungskunst.
Ziele und Verhandlungserfolg
Wir können sicher davon ausgehen, dass beide Mannschaften ein Ziel für das Match hatten. Wollten beide gewinnen? Ich habe da meine Zweifel. Diese Saison fährt “man” ja nur nach München, um irgendwie über die Runden zu kommen.
Wenn Sie im Vertrieb tätig sind und zum nächsten Jahresgespräch mit einem Einkäufer mit der gleichen Einstellung und dem Ziel “nicht verlieren” fahren, dann kassieren Sie zu Recht eine Klatsche.
Gehen Sie immer mit einem positiv formulierten Gewinnerziel in die nächste Verhandlung!
Natürlich wissen Sie um SMARTe Ziele: spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch, terminiert. Und jetzt könnten Sie sagen: “Aber es ist doch nicht realistisch zu einem solchen Giganten zu fahren mit dem Ziel zu gewinnen.” Nun, dann schauen Sie in die Tabelle und die Ergebnisse dieser Saison: FCB eine Niederlage – zu Hause!
 

WIN-WIN im Lichte des Spielergebnisses

Wenn Sie auf ein Verhandlungsergebnis schauen und feststellen wollen, ob ein WIN-WIN gegeben ist, dann sollten Sie zum Maßstab nehmen, was beide Verhandlungsteams als Ziel hatten und ob sie im Rahmen dieser Zielsetzung abgeschnitten haben.
Außerdem gilt es zu berücksichtigen, welche Fähigkeiten die Spieler (also die Verhandlungsteilnehmer) hatten und ob sie daraus das Beste gemacht haben.
Die Spieler des HSV konnten es an diesem Tag offenbar nicht besser. Vielleicht weil sie schlecht vorbereitet waren, weil sie Angst hatten oder weil sie ein falsch definiertes Ziel hatten. Möglicherweise sind sie auch tatsächlich als Mannschaft um so viel schlechter als der Gegner.

Verantwortlichkeit für ein WIN-WIN


Jetzt komme ich zur alles entscheidenden Frage: Wer ist eigentlich für ein WIN-WIN in der Verhandlung zuständig?
Hätten die Spieler der FC Bayern zurückstecken sollen, um den Gegner mit einem besseren Gefühl vom Platz gehen zu lassen? Das wird wohl niemand ernsthaft fordern.
Gehen wir mal von folgendem Szenario aus: Das andere Verhandlungsteam ist schlecht vorbereitet, schlecht auf- und eingestellt, hat technisch nichts drauf, duckt sich weg, wirft mit Zugeständnissen um sich,…
Weshalb soll also die andere Verhandlungspartei zurückstecken, wenn sie alle Trumpfkarten in der Hand hat?
Hätten die Münchner nach 3 oder 4 Toren das Toreschießen einstellen sollen? Oder gegen Ende das Verteidigen einstellen sollen, damit der HSV noch ein paar Tore schießt?
Für ein WIN-WIN in der Verhandlung trägt jede Verhandlungspartei ganz individuell für sich die Verantwortung. Stellen Sie also sicher, dass Sie alles getan haben, um gut abzuschneiden – es ist meist mehr drin als man denkt!
 

Das 9:2 von Bayern München gegen den Hamburger SV ist ein WIN-WIN

Weil:

• beide Mannschaften das Optimale aus ihren Möglichkeiten gemacht haben
• das Team von Bayern München konsequent an seinen Zielen gearbeitet hat
• das Team vom Hamburger SV kein klares Ziel hatte oder es vergessen hat
• weil die Fähigkeiten beider Mannschaften extrem unterschiedlich waren
Hier hilft auch die Behauptung nicht weiter, unabhängig von den objektiven Ergebnissen sei es ein WIN-WIN, wenn beide Verhandlungspartner mit dem Ergebnis zufrieden sind. Damit lässt sich fast jedes Ergebnis schönreden: “Hurra ich lebe noch”.
Wenn Sie also nicht krachend verlieren wollen in der nächsten Verhandlung und gerne an Fähigkeiten, Zielen und Einstellung arbeiten wollen, dann holen Sie sich Unterstützung!
 

Der Unterschied zwischen Verhandlungsführung und Fußballspiel

Kommen wir nun zu den Unterschieden.

In Verhandlungen, die auf einer langfristigen Beziehung aufbauen oder diese anstreben, kann es sich jedoch lohnen, nicht jede Tormöglichkeit konsequent auszunutzen.
Weshalb Sie auf die Unterschiede zwischen Verhandlungsführung und Fußballspiel achten sollten
Fußball ist ein Wettkampf und es sollte beiden Mannschaften immer ums Gewinnen gehen. Was dabei herauskommt, wenn beide Mannschaften auf Unentschieden spielen, konnte man schon mehrfach beobachten: Krampf, Langeweile, Buhrufe – und dann vielleicht ein unverhofftes Tor in letzter Minute.
Verhandeln ist auch ein Wettkampf und beiden Verhandlungspartnern (oder allen Verhandlungsparteien) sollte es ums Gewinnen und den eigenen Vorteil gehen. Das ist sogar eine Voraussetzung, um eine optimale Verteilung der Ressourcen zu erreichen (zumindest in einer idealen Welt).
Was Verhandlungen vom Fußball unterscheidet
Es gibt Beziehungen, die wichtig sind und berücksichtigt werden (müssen):
Wenn wir von der Bazar-Situation absehen, dann sind viele Verhandlungen nicht isoliert von einem Beziehungskontext zu betrachten. Es gibt dann sowohl auf der emotionalen Beziehungsebene als auch auf der rationalen Ebene Gründe, dass sich eine Partei in der Verhandlung zurückhält und nicht jeden Trumpf ausspielt.
Hier liegt auch ein Grund, warum Einkäufer in großen Organisationen häufig nur für 12 – 18 Monate für einen Lieferanten oder eine Produktgruppe zuständig sind: keine menschliche Beziehung aufkommen lassen.
Es gibt Abhängigkeiten, die über die heutige Verhandlung hinausreichen:
Im Zeitablauf können sich – je nach Wirtschaftslage – die Machtverhältnisse zwischen Lieferant und Kunde umkehren. Wenn ich also heute meinen Vorteil gnadenlos ausnutze – und immer weiter Tore schieße – dann kann es sein, dass mein Gegenüber mir das heimzahlt, sobald er die Gelegenheit dazu hat.
Es gibt mehrere Stellgrößen für die Verhandlungsziele:
Im Fußball gewinnt, wer mehr Tore schießt. In der Verhandlung gibt es jedoch nicht nur das eine Tor, in das man schießen kann. Zwischen Lieferant und Kunde geht es natürlich um Preise (Haupttor), daneben aber auch um Zahlungsbedingungen, Lieferbedingungen, Laufzeiten, Reklamationen, Pönalen, Liefertermine, Force Mayeur, Skonti, Boni, Pakete, Ausstiegsklauseln,…
Daneben wird auch die Beziehung mit verhandelt. Das Ergebnis dieser Bemühungen lässt sich jedoch kaum objektiv messen, dennoch kann es der wichtigste Bestandteil Ihrer heutigen Verhandlung sein.
Warum Verhandlungen zum 9:2 führen
Um in der Analogie zu bleiben: es gibt natürlich Verhandlungen, die für die eine Seite genau so brutal ausgehen, wie dieses Fußballspiel für den Hamburger SV. Auch dafür gibt es Gründe:
Es gibt einen mächtigeren Verhandlungspartner
In internen Verhandlungen über Hierarchiestufen hinweg gibt es oft eine Machtkomponente und Abhängigkeiten. Auch in Verhandlungen zwischen Einkauf und Vertrieb steht oft die Machtfrage im Raum. Das lässt sich ziemlich einfach in Branchen mit einem Oligopol auf einer Seite beobachten.
Mit allen Trümpfen in der Hand wird dann jeder sich bietende Vorteil ausgenützt und ein Tor nach dem anderen geschossen – ohne Rücksicht auf die Beziehung.
Es gibt automatisierte Reaktionsmuster
Speziell unter Druck reagieren wir mit Automatismen. Wenn es ganz heftig wird mit den Notprogrammen: Zuhauen oder Abhauen.
Doch auch schon vorher laufen viele Prozesse nach einem eingespielten Muster ab. Sie können das sehr gut im privaten Kontext und den vielen familiären Verhandlungen beobachten. Es gibt eine ziemlich steile Lernkurve hin zu solchen Automatismen. Sie zu überwinden ist meist deutlich aufwändiger.
Ein paar Beispiele: schweigen, Zugeständnisse machen, Schultern hängen lassen, schnippisch sein, …
Eine Verhandlungspartei ist einfach schlecht
Das fängt mit fehlenden oder falschen Zielen an, geht weiter zur Einstellung und möglicherweise auch Aufstellung (Team). Auf dem Spielfeld (am Verhandlungstisch) fehlen dann wichtige Fähigkeiten und Fertigkeiten und man gnadenlos ausgenommen.
Eine Verhandlungspartei will kein WIN-WIN, sondern nur den eigenen Vorteil
Wenn die Beziehung ausgeblendet wird und auch Abhängigkeiten nicht berücksichtigt werden, dann brauche ich auch keine Rücksicht auf meinen Verhandlungspartner nehmen. Dann werde ich rücksichtlos jeden sich bietenden Vorteil nutzen.
Ausgelöst oder verstärkt wird dieses Verhalten möglicherweise durch Prämien- und Bonussysteme. Wenn ich abwägen muss zwischen meinem persönlichen Vorteil und einem langfristig sinnvollen WIN-WIN in der Verhandlung: wofür soll ich mich entscheiden?
Wenn Sie künftig bessere Ergebnisse verhandeln wollen, oder ein Training zum Beziehungs- und Verhandlungsmanagement buchen wollen nehmen Sie Kontakt zum Autor auf.