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Der größte lebende Rock'n'Roller

Chuck Berry

Man muss sich sorgen machen um Chuck Berry: Die dpa-Meldung vom 2. Januar verheißt nichts Gutes: "Chuck Berry bricht bei Konzert zusammen
" 02.01.2011, 15:54 Uhr | dpa

Der gute alte Chuck Berry ist, so schien es lange Jahre, nicht totzukriegen. Seine Live-Auftritte pflegt er bis in sein heutiges hohe Alter (84). Wie es dabei zugeht, macht ein Bericht von seinem Auftritt im Theaterhaus in Stuttgart im Sommer 2005 deutlich:

Der alte Herr hat Spaß, und das sagt er auch. Wer mag’s ihm verdenken im ausverkauften Theaterhaus in Stuttgart, bei dem Jubel, der schon nach den ersten – unverwechselbaren – Tönen seiner roten Gibson Halbresonanzgitarre aufbraust. Gut gelaunt signiert Chuck Berry von der Bühne herunter Poster mit seinem jugendlichen Konterfei. Und freut sich über sein Töchterchen, das ihn mit der Blues Harp begleitet.
Mit fast 80 lässt der Gottvater des Rock’n’Roll manches langsamer angehen. Den Duckwalk deutet er nur einmal kurz an. Keine Kompromisse aber bei der Kleidung: Knallrotes Glitzerhemdchen, enge schwarze Hose, weiße Mütze – ein echter Rock’n’Roller achtet stets auf gutes Aussehen.
„Memphis, Tennessee“, „Carol“, Noch immer schäkert Chuck Berry herum, bestimmt eigenwillig, wann ein Song – wie immer viel zu früh – zu Ende ist. Der einzige der Viermann-Band, der das scheinbar im Schlaf beherrscht, ist James Marsala. Ansonsten beschränkt sich der Bassist aufs Klopfen von Grundtönen. Auch ein Grund, warum Chuck Berrys Songs viel von ihrer Aggressivität und Tempo verloren haben. Kein Vergleich zu den Aufnahmen aus den 50er- Jahren, als er mit „Maybelline“, „Sweet little Sixteen“ oder „Johnny B. Goode“ den Rock’n’Roll erfunden hatte, zusammen mit Schlagzeuger Ebby Harding und dem Pianisten Johnny Johnson, der im April mit 80 Jahren gestorben ist.
Das Gitarrespielen hat Chuck Berry sich einst selber beigebracht und seither ist er lernresistent geblieben. Hail, Hail! Nur so konnte er werden, was er noch immer unangefochten ist: der beste schlechte Gitarrist der Welt. Woran die meisten seiner Nacheiferer scheitern, spult er noch immer locker vom Griffbrett, dabei stets dieses leicht hochnäsige Lächeln im Gesicht, das nur der trägt, der sich seiner Bedeutung bewusst ist. Noch immer schmiert er mit den Fingern über die Saiten, phrasiert absichtlich falsch, dudelt unvermittelt ins Piano-Solo hinein. Wem, außer IHM verzeiht man gerne, dass bald jedes zweite Lied mit dem immer gleichen Riff beginnt? Jenes, an dem sich Generationen von Gitarristen die Finger verbogen haben, ohne es auch nur annähernd so elektrisierend wie Chuck Berry hinzubekommen?
Die Songs rumpeln und bumpeln die immer gleichen Themen: Autos – „One of these days, I’m gonna buy you a Mercedes Benz“ – und Frauen: Da strahlt der alte Herr, als er die jungen und nicht mehr ganz so jungen Ladies nicht lange auf die Bühne bitten muss. Gerne setzt er sich dann auf eine Box am Bühnenrand und schaut den Damen beim Tanzen zu.
Doch als ein jugendlicher Fan die Bühne entert, hält ihm der alte Chuck blitzschnell die geballte Faust unter die Nase, bricht die Musik ab. Wenige Minuten später ist das Konzert zu Ende. Eine Stunde. Ohne Zugabe. Rock’n’Roll kennt keine Kompromisse.