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Cyber Buddha - Kurzgeschichte von Stefan Soeffky

Cyber Buddha

Eine absurde und surreale Geschichte, in der Sinnhaftigkeit relativ ist und Stilblüten entschieden beabsichtigt sind

Die Musik läuft und es ist schon viel zu spät. Ich möchte von großen Abenteuern berichten. Aber ich habe keine erlebt. Mein Leben spielt sich in diesem graugetäfelten Zimmer ab, das hoch über Arizona in den Wolken schwebt. Ich habe aber eine Vorrichtung, an der mich hinunterlassen kann. Ich muss diesen gelben, runden Schalter gedrückt halten und dann arbeitet das Gewinde und ich werde auf meiner Plattform zum Boden herabgelassen.
Neulich bin ich mit meinem Zimmer mal rüber zum Niederrhein in Deutschland geflogen. Die Gegend ist bei einer kleinen Zahl von Insidern weltberühmt für ihre Melancholie. Als ich über dem Niederrhein schwebte, lehnte ich mit den Ellbogen auf der Fensterbank am geöffneten Fenster und hielt mit dem Fernglas Ausschau nach einem geeigneten Ort für das, was ich erleben wollte.
Ich fand eine Kleinstadt, wo vor der Bibliothek alles mit roten Ziegeln ausgekleidet war, der Boden, die Gebäude drumherum bestanden daraus. Es gab Kraftwerke in der Nähe und Reihen von gleichartigen Reihenhäusern, die sich in der Farbe voneinander unterschieden.
Es gab Waldgebiete, in denen ein Geflecht von Spazierwegen auszumachen war. Ich fand eine Wiese hinter einer Werkstatt, von der ein kleiner Pfad direkt zu einer zweispurigen Straße am Ortsrand führte. Die Wiese war ein Ort, wo sowieso jedem alles egal war. Dort würde ich mich unauffällig herablassen können, ohne Anstoß zu erregen.
Das tat ich, rückte meinen grauen Tweedanzug zurecht, zündete mir eine Zigarette an und machte mich auf den Weg ins Ortsinnere. Im Ort liefen drei Meter große Teddybären herum, die mit ihren Augen Laserstrahlen schossen. Schlampige Emomädchen liefen sichtlich erregt herum und stolperten fast, immer wenn sie einander spontan erfundene Witze zuriefen.
An einem Band schwang sich ein Superheld auf eins der niedrigen Dächer und sagte den Teddybären den Kampf an. Mir war das definitiv zu gefährlich. Ich ging um eine Ecke in Richtung des Waldgebietes, das ich aus der Luft ausgemacht hatte. Dort würde es ruhiger sein, glaubte ich. Eine alte Frau mit krausen, grauen Haaren und Putzkittel kippte mit einem Eimer eine Flüssigkeit aus dem zweiten Stockwerk auf den Gehweg. Zum Glück stand gerade niemand darunter. Dann schloss sie das Fenster schroff. Ich lachte darüber. Ich lachte so laut, dass ich es selbst kaum aushielt. Ich lachte so laut, dass in einem für mich sichtbaren Garten ein Gartenhäuschen in sich zusammenfiel.
Aber ich merkte, ich war nicht stilsicher. Ich konnte hier nicht stilsicher sein. Irgendwas störte, vielleicht der Schnurrbartproll, der wütend mit einem Hammer auf einen Kanarienvogel einschlug. Irgendetwas stimmte mit dem Kanarienvogel nicht. Er war zu groß. Die dicken Hände des Schnurrbartprolls waren nicht groß genug, um den Kanarienvogel ganz zu umfassen. Die linke Hand des Schnurrbartprolls lag nur fest auf dem Bauch des Kanarienvogels und drückte ihn zu Boden. Der riesige Kanarienvogel zitterte und atmete schwer, während der Schnurrbartproll wie irre mit dem Hammer auf das Viech einschlug. Der Kanarienvogel sagte: „Du wirst mich nicht töten. Wir sind alt, älter als ihr, älter als die Erde, älter als die Gestirne, älter als das Chaos, aus dem der Kosmos entstand. Wir sind Götter. Ihr erkennt es nur nicht. Unser Volk kam hierhin, um euch die Wahrheit zu lehren.“
Der Schnurrbartproll schrie „Nein!“ und weinte bitterlich, und schlug noch schneller und fester mit dem Hammer auf den riesigen Kanarienvogel ein.
Der Kanarienvogel sagte: „Ich werde so müde.“
Während ich weiterging, verschwand dann der Schnurrbartproll mit dem Kanarienvogel aus meinem Blickfeld. Ich ging jetzt durch eine Straße, wo seltsamerweise nichts passierte, aber auch gar nichts. Alle Türen und die grauen Fenster waren hier geschlossen. Eine Welt, in der die Häuser herrschten, wo es keine Menschen gab, wo kein Mensch je leben konnte, wo Steine, Asphalt, Glas und grüne Topfpflanzen hinter den Fenstern alles Leben im Keim erstickten.
Aaaah! Ja! Hier begann nun endlich der Waldweg. Ich zündete mir eine Zigarette an, schon wieder. Der Wald begann ruhig. Hier war endlich Frieden. Der Wald ging weiter und war sehr grün, aber stellenweise auch dunkel. Dann kam wieder das gelbe Sonnenlicht durch den Wald. Dann war es also hell. Der Waldweg war gesäumt von zweieinhalb Meter großen, roten Kerzen. Es waren Duftkerzen. Ich beruhigte mich also.
Die Frische des grünen Waldes war überwältigend. Bald kam eine Stelle, wo ich den Himmel sehen konnte. Er war blau. Eine große Wolke, außen strahlend weiß und mit grauem Herzen, ragte über den Horizont.
Irgendwo fielen Schüsse, aber ich kümmerte mich nicht weiter darum. Lautlos flog ein dunkelgraues UFO mit kleine gelben Lichtern und kantigen Ausbuchtungen heran und machte über mir halt. Ich wollte mit ihm reden, aber mir fiel nichts ein. Dennoch schien das UFO zu verstehen.
Ich trat meine Zigarette auf dem Boden aus. Dann flog das UFO langsamer aber weiterhin lautlos weiter. Die majestätische Wolke am Horizont über dem Stoppelfeld strahlte eine Ruhe aus, die mir die Tränen in die Augen trieb. Ich erkannte keinen Zusammenhang in dem Ort, dem Wald. Ich nahm meine Umgebung nicht mehr richtig wahr. Ich versank tief in meinem Innern. Von einem dichten Gefühl liebender Wärme eingehüllt kam ich meinem eigentlichen Zuhause nah. Alles war egal.
 

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