helmut.agnesson

Wasser ist ein unbedingt erforderliches Gut

Wassersperren - ein Skandal in Deutschland

Ich habe mehrere Jahre an der Hotline eines Energieversorgers gearbeitet, welcher in einem kleinen Teil des Versorgungsgebietes auf eigene Rechnung Wasser geliefert hatte. In wesentlich mehr Gemeinden, vor allem in Niedersachsen, nahm er die Abrechnung der Wasserlieferung und teilweise auch die Abwasserberechnung im Auftrag der Kommunen vor. Des Weiteren war der Versorger gemeinsam mit einigen Ruhrgebietskommunen am Wasserversorger RWW beteiligt. Im Call Center haben wir auch Anrufe für den Wasserversorger entgegengenommen.  Hinsichtlich des Verhaltens bei nicht bezahlten Rechnungen gab es Unterschiede.

Wassersperren in der Praxis
Weder der Stromversorger in den wenigen Gebieten, wo er eigenverantwortlich Wasser lieferte, noch die Kommunen, für welchjene er die Abrechnung als Dienstleister vornahm, sperrte die Wasserversorgung bei Zahlungsverzug. Die RWW verhielt sich jedoch anders und nahm Wassersperrungen vor. Eine weitere Besonderheit im RWW-Versorgungsgebiet besteht darin, dass nur Hauseigentümer Vertragspartner werden können. Somit sind Mieter einer möglichen Nichtbezahlung der Wasserrechnung durch ihren Vermieter schutzlos ausgeliefert und können nicht selbst in den Vertrag eintreten.

Sind Wassersperren fair?
Die Antwort kann nur in einem ganz klaren Nein bestehen. Wasser ist für die Lebensführung unerlässlich. Der Einwand, dass jeder selbst für die Bezahlung der Wasserrechnung zuständig sei, trifft nur für Hauseigentümer zu, da Mieterinnen und Mieter keine Möglichkeit haben, die Bezahlung der Wasserrechnung durch diese sicherzustellen. Eine Ausnahme besteht in den Gemeinden, welche die haushaltsbezogene Abrechnung des Wasserverbrauchs mit dem Mieter akzeptieren.

Die Wehrlosigkeit der Mieterinnen und Mieter
Wenn ihre Vermieter die Wasserrechnung nicht bezahlen, droht Mietern in den Versorgungsgebieten der Wassersperren durchführenden Versorger der Verlust von Lebensqualität. Obgleich sie ihren Anteil an den Nebenkosten rechtzeitig an den Vermieter abgeführt haben, dreht ihnen der Wasserversorger den Hahn ab. Sie können anschließend ihre Toilette nicht spülen und sich nicht waschen, wodurch ihnen im Extremfall der Verlust des Arbeitsplatzes droht, weil sie ungewaschen nicht zur Arbeit gehen können. Zum Trinken und Kochen lässt sich ersatzweise Mineralwasser verwenden, zum Waschen aber kaum, zumal das nicht in die Dusche einzustellen geht. Wasser aus der Mineralwasserflasche zum Toilettenspülen verwenden, geht ebenfalls nicht, denn der Wasserdruck ist zum vernünftigen Abspülen zu gering.

Der Gesetzgeber ist gefordert
Selbst wenn eine Wohnung ohne Wasserversorgung als nicht bewohnbar gilt und Mieter für die Zeit der Wasserabstellung in ein Hotel ziehen dürfen, können sie diese Möglichkeit in der Praxis nicht nutzen. Dass der Vermieter die Wasserrechnung nicht bezahlt hat, liegt üblicherweise an dessen Zahlungsunfähigkeit, so dass die Mieterinnen und Mieter ihr für das Hotelzimmer bezahlte Geld nie wiedersehen werden. Sie können sich an den Bürgermeister wenden und erhalten im Normalfall die Erlaubnis, Wasser in Kanistern im Rathaus oder an einer anderen Stelle zu holen. Allerdings kann keine Familie ihren kompletten Wasserbedarf vom Rathaus zur Wohnung schleppen oder sie hat keine Zeit für andere Dinge mehr. Die einzig mögliche Lösung besteht darin, dass der Gesetzgeber die Unterbrechung der Wasserversorgung, zumindest für Mietshäuser, deren Bewohner(innen) nicht selbst für die Nichtbezahlung der Wasserrechnung verantwortlich sind, untersagt. Der Wasserversorger kann sich leicht beim zahlungspflichtigen Vermieter schadlos halten, indem er eine Pfändung einleitet. Dass ausgerechnet ein gemeinsamer Wasserversorger von RWE und Kommunen in Nordrhein-Westfalen zu den eher wenigen Wasserversorgern gehört, welche Wassersperren bei Zahlungsrückständen des Vermieters (und nicht etwa des von der Sperre betroffenen Mieters) vornehmen, ist angesichts der sozialen Verantwortung von Kommunen verwunderlich. Die Sozialämter der Gemeinden können selbst in sozial schwierigen Fällen und bei kranken Personen nicht helfen, da nicht der Mieter, sondern sein Vermieter die Schulden hat.