Willkommen auf der dunklen Seite
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Isabell

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 Über die Streibarkeit von Best- Of listen

Best-Of Listen sind ja immer eine besonders heikle Angelegenheit, weil sie immer dem subjektiven Gestus des werten Schreiberlings entsprechen und eine entsprechende Angriffsfläche für geschmackliche Streitigkeiten bieten. So auch hier. Dieses mal ist es jedoch keine All Time Favs-Liste im klassischen Sinne, sondern ich habe mich an die Aufgabe gewagt, aus der ganzen Fülle an Musik, die sich mir bisher so bot, die finstersten Perlen rauszupicken.

Willkommen auf der dunklen Seite - Deep Shadows and brilliant Highlights

Düster ? Jawohl, ich kann nicht genau sagen warum, aber von allen Emotionen die Musik so erwecken kann, fühl ich mich auf der negativen Kehrseite der menschlichen Existenz besonders heimisch. Tod, Hass, Misanthropie, Autoaggression, Suizid, Mord, Krieg, Verzweiflung - Das sind Themenspektren, denen ich mich merkwürdigerweise nicht entziehen kann, obwohl ich ein durchaus lebensbejahender Mensch bin. Sie erzeugen bei mir ein besonders intensives Gefühl der inneren Leere und Isolation, welches ich zugegebenermaßen einerseits berauschend, andererseits fast schon als "urig-gemütlich" empfinde. Dabei gibt es vor allem drei Alben, welche ich hier bei pageballs.com vorstellen möchte. Die Plattform bietet mir die wundervolle Möglichkeit, diese selbstreflektive Zusammenstellung auch anderen User bereitzustellen, die vielleicht ihrerseits einige Neuentdeckungen für sich finden können. Im Übrigen, die Auseinandersetzung mit Musik auf diese Weise ist auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Man kann über Musik Position im Leben beziehen, oder zumindest facettenweise. Musik bietet genügend Identifikationspotentiale, in (pop)kultureller, philosophischer und vielleicht auch politischer Hinsicht. Wen man Freude daran findet, kann man durchaus darüber nachdenken, im Musikjournalismus zu arbeiten. Einstiegsplattformen gibt es genug, es gibt genügend Online-Musikmagazine im Internet, bei welchen man sich freijournalistisch betätigen kann. Nun aber back to topic, hier die Top 3:

Willkommen auf der dunklen Seite / Joy Division - Closer

Keine Frage, „Closer“ ist ein Meilenstein der Post-Punk Ära. Und eines der einflussreichsten Alben für die spätere Gothic-Subkultur. Zwei Monate nach dem Suizid von Frontmann und Mastermind Ian Curtis erschien das zweite Studioalbum "Closer" als konsequente Fortentwicklung des hochgelobten Vorgängers "Unknown Pleasures". Schien bereits das Debüt die Tiefen der menschlichen Existenz auszuloten, geht "Closer" noch einen Schritt weiter und ist ein beängstigendes, kafkaesk anmutendes Machwerk. Dumpfes, emotionsloses Drumming, welches so präzise ist, dass man meinen könnte, ein Drumcomputer wäre am Werk – Düster-wummernde Basslinien und Ian Curtis Bariton-Stimme, mit der Intonation eines alten Mannes zeichnen ein Gemälde völliger Einsamkeit. Dezente Elektronikeinsprengsel betonen die Elegie dieses schwermütig-todessüchtigen Klangcocktails. Nicht zuletzt haben Joy Division, obwohl nur zwei Studioalben veröffentlicht, erheblichen Einfluss auf die heutige Britpop-Szene und können ohne weiteres als Wegbereiter für Bands wie Interpol oder Editors genannt werden.

Willkommen auf der dunklen Seite / The Cure – Pornography

The Cure kann man ohne weiteres als Urgestein der Gothic-Kultur bezeichnen. Die Formation um Wuschelkopf und Lippenstiftträger Robert Smith hat in ihrer langwährenden Schaffenszeit zahlreiche Phasen durchlebt/durchspielt und das musikalische Gesicht In bester Chamäelon-Manier mehrhaft gewandelt. Eine Konstante blieb jedoch: Smiths phlegmatisch-tragender, zutiefst melancholischer Wimmergesang. Über den anfänglich ungestüm-drängenden New Wave-lastigen Sound der „Three Imaginary Boys“-Ära, über die Hinwendung zum Pop von Anfang bis Ende der 80er, sind es aber vor allem Alben wie das vielfach ausgezeichnete schwerblütige „Disintergration“ oder das unglaublich zermürbende „Pornography“ von 1982, die als zentrale Werke der Band absolute Wertschätzung genießen. Letzteres ist es auch, welches Einzug in diese Liste hält. Der Brachial-Nihilismus, welcher in diesem Machwerk wütet und unnachgiebig in die Gehörgänge des Hörers eindrischt, spiegelt sich bereits in der ersten vielzitierten Textzeile des Openers „One Hundred Years“ wieder: „It doesn´t matter if we all die“ – Ebenso wie der Verfall menschlichen Seins lyrisch heraufbeschworen wird, zeigt sich auch das Ganze auf musikalischer Ebene – Trockenes, maschinelles Drumming trifft auf treibend-sägende Gitarrenlinien die mit zuviel Hall übersteuert, eine menschenfeindliche Atmosphäre aufkommen lassen. Destruktiv – hoffnungslos – todessehnsüchtig. Kaum ein Album vermag es Stimmungen so effektiv und authentisch zu vermitteln, ohne in überschwänglichen Pathos zu driften. Die Alkohol und Drogenexzesse zum Zeitpunkt der Aufnahmen werden wohl ihr übriges dazu beigetragen haben. Ein krasses Album, welches keineswegs zum Easy Listening geeignet ist, sondern ein hochgradig intensives, zermürbendes Erlebnis ist.

Willkommen auf der dunklen Seite / CindyTALK – Camouflaged Heart

Wir schreiben das Jahr 1984. Der junge Songwriter Gordon Sharp, welcher vormals mit Projekten wie The Freeze oder This Mortal Coil zusammenarbeitete, veröffentlicht mit CindyTALK nahezu im Alleingang das Debüt „Camouflaged Heart“. Lange bevor das Genre „Industrial“ Von Musikkritiker aus der Taufe erhoben wurde, präsentierte sich dieses ominöse Ausnahmemachwerk als seiner Zeit voraus. Ebenso änigmatisch wie Sharp selbst, ist auch dieses Werk geraten. Dunkel, verstörend und bizarr sind die Klangwelten, in welche Camouflaged Heart den Hörer entführt. Einzigartig in Form und Ästhetik beeindruckt das Werk vor allem ob seiner Intensität, welche geradezu grotesk und beängstigend erscheint. Gordon Sharps Stimme ist unerträglich eindringlich, bisweilen scharf wie ein Messer und wirkt, als würde er sich all seine Verzweiflung vom Leibe und der Seele schreien. Inmitten von martialischen Marschrhytmen, verstörenden Soundcollagen und atmosphärisch unglaublich dichten Ambient-Sounds scheint sein „Gesang“ die Abgründe der menschlichen Seele offen zu legen. Zwischen bedächtiger Stille und brutalen Noise-Attacken entfaltet sich eine ganz eigene Dynamik, für die der Hörer Nerven aus Stahl benötigt, um sich nicht völlig von der Tristesse dieser Klänge mitreißen zu lassen.