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Kunst, Kultur & Foto

Zwei unterschiedliche Stimmungen in zwei Gedichten

Zwei völlig unterschiedliche Gedichte von Stefan Soeffky zum Phänomen des Kontrastes

Fremdes Glück


Ein Dichter ohne Namen
saß einmal
für drei Jahrzehnte
und drei Jahre
und 4 Monate
und 12 Tage
bis zum Mittag
in einem Ohrensessel
nicht ohne zwischendurch
aufgestanden zu sein,
las in hippen Publikationen,
einiger Pflichtlektüre,
manch tabuisiertem Pamphlet,
rauchte, trank,
hurte albern herum,
aß Köstliches
und Gesundes,
wenn nötig,
erforschte einen unendlich bestirnten
Himmel voller Musik
und Erzählungen, die flimmern,
und fühlte sich eigentlich
so weit pudelwohl,
als die Tür aufsprang
und ein Tornado der Anmut
sein Leben verwüstete,
nicht ohne drei abgedroschene Worte
unter anderen gesagt zu haben
und hob den mehrere Zentner
schweren Dichter
in einen Himmel,
wo man ständig damit beschäftigt ist,
kollossalen, tonnenschweren,
goldenen, freischwingenden
Kirchenglocken auszuweichen,
wodurch der Dichter
sich nicht anders
zu helfen wusste,
als panikartig in seinen
Ohrensessel zu rauschen
und dieses Gedicht zu schreiben,
um wenigstens einen Moment seine Ruhe
zu haben. Amen!

Inzwischen

Ein Mann mit Glatze und
Dickem Hals geht im Sonnenschein
Eine belebte Straße entlang
Als er in seinem Kopf
Eine Roboterstimme sagen hört:
„Ich bin dein Diener
Und helfe dir
dein Fahrzeug zu steuern.“
And I won’t cry for yesterday
Er hält sich das Ohr und
beugt sich nach vorne.
There’s an ordinary world
Drei Raben flattern zum Himmel hinauf
Hinter einer Backsteinmauer
Und jemand startet seinen Wagen.

Jemand löst ein Sudoku
Und flüstert Zahlen.
Ein Tropfen rinnt
An einer Flasche Tafelwasser hinab.
Er flüstert: „Sieben, Sieben, Sieben“
„Dein Wunsch sei mir Befehl“,
Spricht eine Roboterstimme in seinem Kopf.
Eine Studentin nimmt ein Gespräch entgegen
Jemand hupt
Und ein Kind mit Tornister ruft etwas
Seinen Turnbeutel schwenkend.

Ein Zoomobjektiv dreht sich hinter
Einem halbdurchlässigen Spiegel,
von dem der Bewohner nichts weiß,
doch heute Nachmittag befürchtet er,
man kann diese Menschheit
nicht sich selbst überlassen.
Ein Hund bellt,
Ein paar Vögel zwitschern,
Die Nachbarin telefoniert und lacht
In den Hörer.

Etwas oder jemand
ist heute Nacht durchs Feld gelaufen
und hat Halme abgeknickt
es oder er war auf dem Weg zu dir,
um dir im Schlaf etwas
zuzuflüstern.
Ein Fahrradfahrer hat Gegenwind,
Eine Schnecke kriecht über die Straße,
die Sonne geht auf,
es hat geregnet.

Zwölf Minuten lang
Stand jemand da
Und wusste nicht mehr, wo er wohnte,
bis ihm alles wieder einfiel.
Er hebt seine Tasche auf
und steigt in den Bus.
Ein Mann bringt eine Frau zum Lachen,
den beiden wird ein Eis serviert,
ein Fensterputzer wird mit der Arbeit fertig.
Die Ampel schaltet auf Gelb.