Blindheit im Alltag
Blindheit im Alltag
Marina Dietrich

Mama, warum ist das so?

Blindheit im Alltag

  Während meiner langen Zugfahrten quer durch Bayern konnte ich viele Menschen, vor allem Kinder und deren Eltern beobachten. Während die Eltern immer mit besorgtem Blick die Mitfahrer studieren und eher abweisend sind, laufen kleine Kinder frei umher, schauen sich jeden ganz genau an, ob derjenige im Anzug steckt oder in Lack und Leder. Nichts kann sie und ihre Neugier zurückschrecken. "Mama, warum hat die Frau da vorne nur Schwarz an? Ich glaub, die ist traurig. Soll ich ihr meinen Teddy geben?"  Noch bevor die verdutzte Mutter sie festhalten kann, läuft ein kleines Mädchen zu mir mit einem Teddy im Arm. Er ist fast so groß wie dieses kleine Persönchen. Zwei große blaue Augen schauen mich neugierig an. "Bist du traurig?", "Nein, wie kommst du denn darauf?", "Meine Mama sagt immer, Schwarz trägt man nur, wenn Menschen gestörben sind! Bist du traurig?" Ich lächtelte sie an und sagte nein. Daraufhin lächelte sie und fragte, ob sie sich zu mir setzen darf. Ich half ihr auf den Sitz gegenüber von mir. Innerhalb einiger Sekunden stand die Mutter zerknirscht neben mir. "Mia, du sollst doch keine Fremden ansprechen!" Ich lächelte die Frau an und erklärte ihr, dass ihre Tochter nur ganz normal reagiert hat für ein Kind in ihrem Alter. Man merkte der Mutter an, dass sie sich nicht wohl fühlte, also stellte ich mich ihr vor und erklärte, dass ich mich auf der Durchreise zu meiner Uni befinde. Sichtlich erleichtert setzte sie sich neben ihre Tochter. "Sag mal Mama, warum hast du gesagt, ich darf nicht mit ihr reden? Sie ist doch ganz nett!" Manchmal würde es uns allen ganz gut tun, mit den augen dieses Mädchens durch die Welt zu laufen. Frei aus dem Bauch heraus erzählte sie mir ihre Vorstellungen vom Leben und von Gott, vom Kindergarten und von Zuhause. Und genauso forsch fragte sie mich, wollte alles Wissen. Kindermund tut Wahrheit kund aber versetzt auch Erwachsene in Staunen.