Der (un)perfekte Hund
Der (un)perfekte Hund
Pia

Plädoyer für das Leben mit einem unperfekten Hund

Der (un)perfekte Hund

Wir lieben Hunde. Sie sind uns längst zu liebenswerten Begleitern und guten Freunden geworden. Sie schlafen in unseren Betten, lungern auf unseren Sofas herum, bekommen nur das beste Futter und werden nach Möglichkeit überall hin mitgenommen. So mancher zieht vielleicht sogar seinen Hund einigen menschlichen Kontakten vor. Die meisten Menschen, die jemals einen Hund besessen haben, können diese Einstellung mit großer Wahrscheinlichkeit nachvollziehen.


Viele von uns machen Urlaub mit dem Hund, schicken ihn zum Frisör und zur regelmäßigen Kontrolle beim Tierarzt und: Wir besuchen natürlich auch eine gute Hundeschule, um für die richtige Erziehung und artgerechte Auslastung zu sorgen. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden – ganz im Gegenteil – wenn eben alles in einem vernünftigen Rahmen bleibt. Leider hat man heutzutage aber oft den Eindruck, der Hund ist eher die perfekte Ware als ein Lebewesen mit Charakter. Diese Einstellung spiegelt sich bereits beim Züchter wieder, wenn der Hund noch nicht ein Mal angeschafft ist. Verantwortung zeigen ist nie ein Fehler und so versuchen wir bereits vor der Anschaffung unseres Hunde alles richtig zu machen und möglichst nichts dem Zufall zu überlassen. Da ist schon die Beurteilung der Eltern unseres zukünftigen besten Freundes von großer Wichtigkeit. Besonders die Mutter sollte in allen Bereichen eine hervorragende Hunde-Qualität erfüllen, denn die äußeren Einflüsse während einer Hundeschwangerschaft beeinflussen die Welpen bereits im Mutterleib in nicht unerheblichem Maße. Niemals sollte eine werdende Hundemutter Stress ausgesetzt sein und sie sollte ebenso von Grund auf einen „stabilen“ Charakter besitzen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Eigenschaften wie beispielsweise Ängstlichkeit sind für einen Zuchthund nicht tragbar, was natürlich auch durchaus Sinn macht.


Sind die Kleinen dann erstmal auf der Welt, stellt sich ja nun die Frage für welches der süßen Wollknäuel wir uns denn nun entscheiden sollen. Früher waren solche Entscheidungen meist Herzensangelegenheiten. Das ist heute verpönt, denn heute gibt es Welpentests. Bereits bevor man den Hund besitzt, wird ein möglichst erfahrener Hundetrainer engagiert um schon bei der Auswahl des Welpen um Gottes Willen keinen Fehler zu machen: Den Draufgänger aus dem Wurf wollen wir nicht bei uns aufnehmen und auch mit dem ängstlich-unsicheren Bruder wollen wir uns nicht belasten. Die goldene Mitte ist die richtige Wahl des kleinen, unkomplizierten Freundes.


Manchmal frage ich mich, wenn jeder zukünftige Hundebesitzer seinen Welpen nach solchen Kriterien auswählt, was passiert dann eigentlich mit dem kleinen, schüchternen, vielleicht etwas ängstlichen Hund? Und was mit dem Draufgängertyp? Dreht man diese etwas schlechtere „Ware Hund“ am besten stillschweigend dem nichtsahnenden, schlecht informierten, naiven Erstbesitzern an? Gibt es noch Menschen, die auch so einen Hund zu sich nehmen würden und dabei ganz genau wissen auf was sie sich einlassen? In den meisten (unbedarften) Fällen einer falschen Welpenwahl folgt die „böse Überraschung“ wohl spätestens 1 ½ Jahre später. Wer den Hundetrainer also zur Auswahl seines Welpen zu Hause lässt, kann sich ziemlich sicher sein, dass er ihn verstärkt benötigen wird sobald der vierbeinige Freund auch nur ansatzweise erwachsen ist.


Das alles ist aber noch nicht tragisch genug, denn wir sprechen hier von einem Wurf völlig gesunder Welpen. Was aber wenn trotz aller züchterischer Verantwortung doch mal ein genetischer Defekt auftritt? Wer ist denn heute noch dazu bereit, sich wissentlich einen „defekten“ Hund ins Haus zu holen. Wenn es sich um einen Rassehund handelt, dann soll der doch möglichst perfekt sein, schließlich ist das der Grund, warum wir uns überhaupt für einen Rassehund und nicht für irgendeinen Mischling entscheiden, denn bei Mischlingen weiß man ja nie so recht was man bekommt. Wir bezahlen ja nicht zuletzt gutes Geld für unsere „Ware“ und das Preis-Leistungs-Verhältnis muss dann auch stimmen. Würden wir uns unsere Kinder eigentlich nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten aussuchen, wenn wir es könnten?


Natürlich gibt es sie aber auch zuhauf, die Menschen die sich für einen „defekten“ Hund entscheiden. Ein solches Exemplar stammt eigentlich fast immer aus dem Tierschutz. Es handelt sich dann um ein ganz besonders zu bemitleidendes Exemplar der Gattung Hund, das Schlimmes erlebt hat und unseren Beschützerinstinkt weckt. So sehr der Zuchthund auf der einen Seite parieren muss, so laissez-faire gehen wir oft mit der armen, geschundenen Tierschutz-Seele um. Vom einen ins andere Extrem.


Sobald die Gattung „perfekter Rassehund“ unser Haus betritt, schreiten wir sofort zum Grundgehorsam und zur artgerechten Beschäftigung. Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Vorausgesetzt die Aktivitäten mit dem Hund würden überall auf einem vernünftigen Niveau betrieben werden. Vorausgesetzt auch, es würde hier immer in erster Linie um den Hund gehen. Leider hat man viel zu oft den Eindruck, dass Frauchen oder Herrchen oder gar beide eigentlich nichts anderes im Sinn haben, als sich über ihren Hund zu profilieren. Perfekt mit dem Kopf auf dem Oberschenkel muss unser vierbeiniger Freund ohne Leine bei Fuß gehen und alle in genauem Wortlaut vom Trainer vorgeschriebenen Kommandos muss er zu 100% beherrschen. Nur dann sind wir vorbildliche Hundebesitzer. Normalverhalten wie Aggression, Angst, Unsicherheit oder gar ein Jagdtrieb sind nicht zu tolerieren. Schließlich ist unser freundlicher Labbi von nebenan ein Familienhund und schon lange kein Jäger mehr. Deshalb scheint es neuerdings auch erlaubt, ja gar erwünscht zu sein, ihn eher einer Mastsau ähnlich in die absolute Verfettung zu treiben. Eigentlich absolut gesundheitsschädlich, doch wenn man hört, dass so mancher Tierarzt einen normalgewichtigen Labrador als zu dünn bezeichnet, muss man sich fragen wo der Wahnsinn der Zuchtausstellungen und Rassestandarts uns eigentlich hin führt. Definitiv weg vom Wohl des Hundes. Gesunder Menschenverstand scheint ausgeschaltet zu werden, wo man auf dem Rücken seines Vierbeiners die eigene Profilierungssucht ausleben muss. Ist euch eigentlich schon mal aufgefallen, dass es Hundebesitzer gibt, die keinen anderen Lebensinhalt zu haben scheinen als ihren Hund?

Eine Tierärztin und Züchterin wurde bei einem Vortrag über Normalverhalten und Verhaltensauffälligkeiten von Hunden danach gefragt, warum sie aus einem ihrer Würfe gleich zwei Welpen auf ein Mal behalten habe. Ein männlicher war für die weitere Zucht vorgesehen, ein weiblicher – das Mädchen, das als letztes geboren wurde – sah seinem zukünftigen Frauchen irgendwann in die Augen und sagte: „Ich bin dein Hund“. So sollte es sein. Warum treffen Menschen eine solche Herzensentscheidung obwohl sie es besser wissen müssten? Weil ein Hund eben keine Ware ist. Hunde sind genauso wie wir auch Individuen und sie werden meiner Meinung nach viel zu häufig aufgrund von Rassestandarts, herausragender Leistung oder vorbildlicher Erziehung beurteilt. Auch das Leben mit einem unperfekten Hund ist tausend Mal schöner als ein Leben ohne Hund. Vorausgesetzt Herrchen und Frauchen sind in der Lage ihren Caniden als Individuum zu betrachten und fühlen sich nicht ihres kompletten Selbstvertrauens beraubt, wenn der eigene Hund weniger Leistung bringt als seine Klassenkumpels in der Hundeschule.


Ich ganz persönlich habe mindestens zwei „Problemhunde“ und mir ist das schlimmste passiert, was einem Hundehalter heutzutage überhaupt passieren kann: Ich habe einen Angsthund, der dazu noch hochsensibel ist. Wahrscheinlich bereits in den ersten Momenten seines jungen Lebens von der Mutter getrennt, landete er auf dem Müll und lief vor das Auto einer völlig hundeunerfahrenen Frau – vor mein Auto – wo er einfach liegen blieb. Da ich mich dazu entschieden habe, ihn nicht sterben zu lassen, bin ich für den Rest seines Lebens für sein Wohlergehen verantwortlich. Nicht nur mit der Angst hatten (und haben) wir zu kämpfen, auch mit chronischem Durchfall und Inkontinenz waren wir gesegnet. Konkret bedeutete das, tägliches Beseitigen von Hundepipi und Hundekot in Form großer brauner Seen über etwas mehr als ein Jahr. Innerhalb von diesem Zeitraum war der Tierarzt zwischenzeitlich an seine Grenzen gestoßen und empfahl mir, mich nach einem Tierheilpraktiker umzusehen. Mittlerweile hat die gesundheitliche Odyssee zum Glück ein Ende, die Angst wird uns unser ganzes Leben lang begleiten, aber dennoch haben wir sie auf ein Level reduzieren können, die das Leben dieses kleinen, unperfekten Hundes, der in den Augen vieler als beschädigte Ware gelten würde, lebenswert, fröhlich und schön macht.


Man könnte meinen, ein Problemfall würde genügen, doch auch mein anderer Hund hat es mir nie leicht gemacht. Alle Erziehungsversuche scheiterten aufgrund meiner damaligen Unwissenheit an der Sturheit dieses Köters. Erst nach einer geschlagenen halben Stunde hin und her gehen, zeigte beispielsweise ein Leinenführigkeitstraining ansatzweise Wirkung. Was nicht heißen musste, dass es am nächsten Tag deswegen schneller funktionieren würde und auch nicht, dass die Ergebnisse des Trainings nach vier Wochen bereits zu sehen gewesen wären. Jeden einzelnen Tag fechte ich Machtkämpfe mit diesem Hund aus. Bis heute vielleicht für immer und immer bin ich mir darüber im klaren, dass ich jedes verdammte einzelne Mal als Sieger aus diesem Kampf hervor gehen muss. Bei Fuß gehen ohne Leine mit dem Kopf auf meinem Bein wird da zur reinen Utopie. Ich finde das gar nicht so schlimm, viele andere verstehen nicht wie man so leben kann. Für mich stellen sich solche Fragen nicht. Ich gestehe meinen Hunden ihre Persönlichkeit zu. Genauso wie ich ein Leben in geistiger Freiheit führen möchte, dürfen meine Hunde das auch. Es entsetzt mich wenn Hunde Stunden lang vor ihren Menschen sitzen und sie ununterbrochen anglotzen müssen ohne auch nur eines Blickes gewürdigt zu werden.


Wie so oft im Leben tendieren wir Menschen gerne mal dazu schwarz-weiß zu denken und zu sehr in die eine oder andere extreme Richtung zu marschieren. Der Mittelweg ist auch beim Leben mit dem Hund meines Erachtens der beste. Es geht nicht um den perfekten Hund. Es geht auch nicht um das arme, gequälte, schützenswerte Hascherl aus dem Tierschutz. Es geht um eine ganz persönliche Beziehung zwischen Mensch und Hund, die zwar passen muss, aber gerne weit entfernt von Perfektion und Vorschriften stattfinden darf.


Ob mein nächster Hund ein hervorragend geprägter Rassehund von einem guten Züchter werden wird? Ich weiß es offen gestanden noch nicht so genau. Ich gehe davon aus, dass ich für diese Entscheidung noch mindestens zehn Jahre Zeit habe. Aber eins steht fest: Eine reine Vernunftentscheidung werde ich mit großer Sicherheit auch dann nicht fällen.