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Kino & Fernsehen

Im Schmerz geboren – dieser Tatort verursachte Schmerzen

Die am 12. Oktober 2014 ausgestrahlte Tatort-Folge „Im Schmerz geboren“ dürfte die Fernsehnation spalten. Höchste Schauspielkunst und eine geniale Idee trafen auf einen unverzeihlichen Tabubruch. Ein Kommentar.

„Im Schmerz geboren“ erhielt bereits vor der offiziellen Ausstrahlung allerhand Kommentatoren-Lorbeeren sowie mehrere Preise. In der Tat: Die Idee war, drücken wir es einmal vorsichtig aus, unkonventionell. Den Schauspielern wurde eine enorme Darstellungsleistung abverlangt, welche sie auch erbrachten. Kunstsinnige Zeitgenossen dürften zudem durch die Verweise auf Theater, Musik und Malerei auf ihre Kosten gekommen sein – sofern ihr Gewissen abgestumpft genug war, die künstlerisch verbrämten Grausamkeiten zu ignorieren.

„Im Schmerz geboren“: Worum es eigentlich ging...

Die Geschichte ist so simpel wie brutal: Gangster Harloff bricht von Südamerika aus auf, um Rache zu nehmen an den Menschen seiner Vergangenheit. Dazu zählt auch sein ehemaliger Freund, Kommissar Murot (Ulrich Tukur). Unaufhaltsam mordet der Rächer, so dass die Zuschauer streckenweise schon vorher wissen, wer als nächstes über die Klinge springt. Das Perfide dabei: Seine Helfer und Verbündeten haben keine Ahnung, dass sie ebenfalls sterben werden, weil sie nur Bauernopfer sind.
Den opulenten Szenenbildern zum Trotz kommt die ganze Story dennoch sehr dünn daher. Sie wird nur aufgeblasen durch psychologische Versatzstücke, welche vor allem Filmbösewicht Harloff alias Ulrich Matthes meisterhaft umsetzt. Dennoch: Der ganze Plot ist unlogisch. Ein Mann wartet Jahrzehnte, um dann ein kompliziertes Räderwerk der Rache in Gang zu setzen. Der Grund: Die Freundin des Gangsters Harloff starb bei der Geburt eines Kindes, dessen ahnungsloser Vater Kommissar Murot ist. Solch ein Umstand erzeugt in der Regel keine Rache inklusive Massenmord, auf die man auch noch Jahrzehnte wartet, um dann selbst daran zugrunde zu gehen. Haben die Filmemacher diese krasse Unlogik nur in Kauf genommen, um erstens Spielfilmlänge zu erreichen und zweitens möglichst viel geniale Wendungen einzubauen?
Gänzlich übel wird dieser Wiesbadener „Tatort“ durch diverse Einschübe von Alexander Held, der eines der Opfer spielt. Im Stil eines Theatererzählers deklariert der Schauspieler poetisch verbrämt den momentanen Fortgang der Geschichte. Die Idee, einen Film so künstlerisch zu gestalten, mag gut sein und wurde auch von allen Beteiligten handwerklich perfekt umgesetzt. Aber in einem Krimi, noch zumal in einer filmischen Institution wie dem „Tatort“, hat so etwas nichts verloren.
 

Was diesen „Tatort“ so scheußlich macht

Es sind die Leichtigkeit des Mordens, die Heerscharen an Leichen und die theatralische Musik während der Morde, die diesen Tatort so befremdlich wirken lassen. Muss die Tötung eines Menschen wirklich zum Kunstgenuss erhoben werden? Abscheuliche Denkweisen der Protagonisten werden offenbar, so dass man sich fragt, ob das Hirn, welche diese erfunden hat, ebenso wirr ist, wie das des Oberbösewichts Harloff. Wer bitte denkt sich so etwas aus und ummantelt es mit dürftigen Kunstanleihen?
Regisseur Florian Schwarz und Autor Michael Proehl haben hier einen „Tatort“ geschaffen, der Diskussionsstoff bietet und sich deutlich von anderen Folgen dieser Reihe abhebt. Doch rechtfertigt ein dramatischer Shakespeare-Verschnitt wirklich die Rekordzahl an Todesfällen? Für viele Kommentatoren offenbar schon, denn sie legen bei ihren Lobeshymnen den Schwerpunkt allein auf die künstlerisch unbestritten genialen Aspekte. Wäre die ungewöhnliche und interessante Inszenierung des Krimis im Stil eines Theaterstücks nicht auch weniger blutig umsetzbar gewesen?
Wenn solch ein Gemetzel als normaler Alltag der Kriminalpolizei dargestellt wird, bedeutet dies im Umkehrschluss: Gewaltsames Massensterben ist lediglich ein durchschnittlich schweres Verbrechen... Auch einer der letzten Sätze „...gedenkt für einen kurzen Augenblick, die Dauer eines Falters Flügelschlags, der Toten dieses Spiels.“ ist doch recht fragwürdig. Eine Gewaltorgie mit zahlreichen Todesopfern ist kein Spiel! Wir müssen uns nicht wundern, wenn angesichts solcher „Kunstwerke“ Amokläufe an Popularität gewinnen. Die Tragödien von Columbine, Erfurt, Winnenden und anderen Orten haben die Filmemacher leider nicht davon abhalten können, eine so scheußliche Geschichte zu kreieren. Und mehr als neun Millionen Zuschauer konsumierten sie...