helmut.agnesson

Die Trennung ist nicht immer eindeutig

Italienische Dialekte - oder doch Regionalsprachen?

In meiner Jugend wurden die meisten Eisdielen mit deutlich größerem prozentualen Abstand zu aus anderen Ländern stammenden Eissalon-Besitzern als heute von Italienern betrieben. Wer Italienisch konnte und sich mit den meistens aus der Familie stammenden MitarbeiterInnen unterhielt, bekam eine erfreute Antwort auf Standard-Italienisch. Wenn sich dann anschließend die Familienmitglieder miteinander unterhielten, war jedoch kaum etwas zu verstehen. Das lag nicht alleine an der höheren Sprechgeschwindigkeit, sondern vor allem daran, dass anstelle der italienischen Standardsprache der Dialekt beziehungsweise die Regionalsprache Verwendung fand. In den 1980er und 1990er Jahren ging die Verwendung ebenso wie die Kenntnis der Regionalsprachen in Italien vorübergehend zurück, erlebt inzwischen jedoch wieder eine deutliche Renaissance. Vor allem Musikliebhaber finden häufig die Möglichkeit, an Konzerten moderner Bands teilzunehmen, welche einen Großteil ihrer Lieder in Regionalsprachen singen.

Die schwierige Abgrenzung zwischen Regionalsprachen und Dialekten
Ob es sich um eigenständige Regionalsprachen oder um italienische Dialekte handelt, lässt sich in vielen Fällen nicht eindeutig beantworten. Dort wo die Antwort eindeutig ist, sprechen die Menschen zudem neben Italienisch und einem Koine-Sardisch auch regionale Dialekte des Sardischen (in einigen Orten auch des Korsischen). Bei norditalienischen Sprachen ergibt sich bei der Bewertung als Dialekt die Schwierigkeit, dass ostromanische Sprachen in der zweiten Person Singular und im Plural überwiegend die Endung -i (teilweise auch -e, aber nie -s) aufweisen, während die westromanischen Sprachen sigmatisch sind. Im Gegensatz zur italienischen Standardsprache weisen die meisten norditalienischen Dialekte die bevorzugte Endung -s auf (im Lombardischen abweichend im Plural – je nach Dialekt generell oder der weiblichen Substantive - Endungslosigkeit). Eine ostromanische Sprache mit westromanischen Dialekten – irgendwie unlogisch. Teile der romanischen Sprachwissenschaft lösen den Widerspruch auf, indem sie auf die klassische Unterscheidung zwischen ostromanischen und westromanischen Sprachen verzichten und alle mit dem Italienischen nahe verwandten beziehungsweise als dessen Dialekte ansehbaren Sprachen als italoromanisch klassifizieren. Nur heben sie damit ein durchaus auffälliges Unterscheidungsmerkmal auf. Die teilweise vom Italienischen abweichende Grammatik der regionalen Sprachen lässt es zu, diese grundsätzlich als eigenständige Regionalsprachen einzustufen. Einige von ihnen weisen nicht nur besondere Grammatikregeln wie die Notwendigkeit, das unbetonte Personalpronomen selbst bei Nennung des Subjektes im Satz zu wiederholen, sondern auch auf Standard-Italienisch nicht vorkommende Laute wie [ü] oder [ö] auf. Dass die einzelnen Regionalsprachen ihrerseits wieder Dialekte ausbilden, versteht sich von selbst.

Selbst in Firenze gibt es einen Dialekt
Das heutige Standard-Italienisch entstammt weitgehend der Varietät von Florenz und Umgebung. Dennoch gibt es in Firenze ein dialektales Merkmal, welchjenes im Standard-Italienischen nicht vorkommt, nämlich die Aussprache eines geschriebenen /h/. Dieses ist eigentlich stumm, eine zweite Funktion stellt – auch in Firenze – die Markierung der harten Aussprache eines /g/ oder /c/ vor einen [e] oder [i] dar. In dieser Eigenschaft bleibt das Acca selbstverständlich auch im florentinischen Dialekt stumm. Eine weitere florentinische Eigenart ist die Umwandlung eines geschriebenen hart zu sprechenden /c/ von einem [k] zu einem [h].

Eine venezianische Endung ist der Gleichberechtigung nützlich
Sobald ein männliches und ein weibliches Wesen gemeinsam sagen, dass sie irgendwohin gegangen sind, tritt die männliche Form des Partizips in Erscheinung. Die venezianische beziehungsweise venetische Sprache (bei einer Feinunterscheidung meint Venezianisch den in Venezia gesprochenen städtischen Dialekt des Venetischen, bei welcher es sich um die Sprache des gesamten Veneto und einiger angrenzender Gebiete handelt) verkürzt Partizipien, so dass FeministInnen teilweise die Form siamo andà verwenden. Diese Utrum-Form des Partizips hat sich im Italienischen allerdings nicht so stark durchgesetzt wie das Binnen-I im Deutschen, sondern ist weitgehend eine Nischenform zur sprachlichen Betonung der Gleichberechtigung geblieben. Eine italienische Freundin schmunzelte, als ich diese Form in einer E-Mail verwendete und antwortete, dass diese in Italien (außerhalb Venetiens) fast nur Extrem-FeministInnen nutzen.