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Brandenburger brauchen die Bahn

Keine weitere Kürzung des Bahnverkehrs in Brandenburg

Das Bundesland Brandenburg legte nach der deutschen Wiedervereinigung einen großen Teil der Bahnstrecken still. Das bedeutet für auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesene Personen oft das Ende ihrer Mobilität, zumal die ersatzweise eingerichteten Busse selten verkehren. Tatsächlich sinken die Fahrgastzahlen in den Bussen weiter, was angesichts des gegenüber Zügen schlechteren Komforts und der längeren Reisedauer nicht verwundert.

Es wäre Zeit zur Wende
Die meisten stillgelegten Bahnstrecken wären noch zu retten. Reaktivierungen ehemals stillgelegter Bahnverbindungen haben in Rheinland-Pfalz (Gebiet um Grünberg), Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (Bad Oldesloe – Neumünster) enorme Fahrgastzahlen aktiviert. Während in Brandenburg der Templiner Bürgermeister ein überzeugendes Konzept für die Wiedereröffnung der Bahnverbindung zwischen Templin und Eberswalde über Joachimsthal vorlegt, hat der Infrastrukturminister des Landes – zutreffender wäre wohl die Bezeichnung als Anti-Infrastrukturminister – Jörg Vogelsänger die Absicht, auch den verbliebenen Streckenteil zwischen Joachimsthal und Eberswalde aufzugeben. Es ist leicht nachvollziehbar, dass die geforderten fünfhundert Fahrgäste am Tag eher bei einer Bahnbedienung der gesamten Linie als bei einem nur auf einer Teilstrecke erfolgenden Zugangebot erreicht werden können. Zwischen Löwenberg und Rheinsberg verkehren Züge nur während der Sommermonate; Pendler benötigen zum Umstieg auf die Bahn aber ein ganzjähriges Zugangebot. Das derzeitige Zugangebot richtet sich zwangsläufig ausschließlich an Touristen. Für eine Fahrt von Templin an die Ostsee mit der Bahn müssen Reisende den Umweg über Löwenberg in Kauf nehmen, wo sie zudem neunundfünfzig Minuten auf den Anschlusszug warten müssen (das immerhin kann sich nach der Modernisierung der Strecke von Berlin nach Neubrandenburg ändern).

Busse sind keine Alternative zum Zugverkehr in Brandenburg
Auf den meisten nicht mehr von der Bahn bedienten Strecke fahren gelegentlich Busse. Die Betonung liegt auf gelegentlich, das Angebot der Busverbindungen ist weder für Pendler noch für Touristen akzeptabel. Zudem sind sogar einige der Buslinien gefährdet. Es ist kein Wunder, dass die Fahrgastzahlen im Busverkehr abnehmen, schließlich fährt der länger und ist weniger komfortabel als die Bahn. Hinzu kommt, dass mit Ausnahme zu Zielen innerhalb des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg für den Bus eine zusätzliche Fahrkarte gekauft werden muss, da die meisten Bahnfahrkarten auf den Buslinien nicht anerkannt werden. Wer hat schon Lust, zusätzlich zum Quer-durchs-Land-Ticket noch eine weitere Busfahrkarte zu kaufen, wenn er/sie sich schon über die nervige Busfahrt in Sichtweise der ehemaligen Bahnstrecke ärgert.

Der Tourismus in Brandenburg benötigt den Bahnverkehr
Touristen wählen ihren Urlaubsort auch nach der Erreichbarkeit aus; für mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisende Gäste bedeutet das konkret die Erreichbarkeit mit der Bahn. Lychen hatte drastische Einschnitte bei den Gästezahlen erlitten, nachdem die Bahnstrecke von Templin über Lychen nach Fürstenberg nicht mehr bedient wurde. Des Weiteren hat Templin mit der Aufgabe des Zugverkehrs zwischen der Stadt und Joachimsthal (bzw. Eberswalde) viele Gäste aus der Region Pasewalk verloren. Dass die meisten auswärtigen Besucher der Natur Therme Templin aus Berlin kommen, liegt nicht zuletzt daran, dass von der Hauptstadt nach Templin die Bahnlinie weiterhin in Betrieb ist.

Wie kann der Bahnverkehr in Brandenburg gerettet werden?
Für die Rettung der von Stilllegungen bedrohten Bahnstrecken in Brandenburg ist die Einsicht der Regierenden in die Notwendigkeit eines guten Zugangebotes ebenso erforderlich wie eine Erhöhung der Einnahmen. Je mehr Menschen Züge nutzen, desto höher sind die Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf; viele Fahrgäste gewinnen Bahnlinien, wenn sie vom frühen Morgen bis in den späten Abend im Stundentakt betrieben werden und das Angebot auch am Wochenende besteht. Ein Zweistundentakt ist ebenso wie das Fehlen von Spätverbindungen für viele Fahrgäste ein Grund gegen die Zugnutzung. Wer in der Nachbarstadt wohnende Freunde besucht, nutzt nicht unbedingt den nach zweiundzwanzig Uhr verkehrenden Spätzug für die Rückfahrt; aber sie/er wünscht die Möglichkeit, nicht allzu früh zurückfahren zu müssen und weicht bei einer fehlenden Spätverbindung eher auf das Auto aus. Viele Orte in Brandenburg erheben eine Kurtaxe; mit einer geringen Erhöhung dieser Abgabe ließe sich ein guter Schienenpersonennahverkehr finanzieren. Viele Regionen verlangen nur fünfzig Cent pro Übernachtung von ihren Kurgästen als ÖPNV-Beitrag und bieten ihnen als Gegenleistung das Recht zur Fahrt mit Bussen und Bahnen in der Umgebung ihres Urlaubsortes. Ein vergleichbares Angebot wird auch in Brandenburg nicht nur zu erhöhten Fahrgeldeinnahmen führen, sondern zugleich die fünfhundert täglichen Fahrgäste pro Bahnlinie zu erreichen helfen.

Bahnstrecken sind aus sozialen Gründen zu erhalten
Die Bevölkerung in Brandenburg wird immer älter. Gerade ältere Menschen sind auf einen ausreichend häufig verkehrenden öffentlichen Personennahverkehr angewiesen, da sie oft nur schlecht Auto fahren können und mit der Teilnahme am Straßenverkehr sowohl sich als auch andere Verkehrsteilnehmer gefährden; das gilt besonders, wenn sie weite Strecken fahren müssen. Zudem möchten ältere Menschen mobil bleiben; wer Bahnstrecken stilllegt, stiehlt  ihnen einen großen Teil ihrer Lebensqualität und hindert sie an der Teilnahme am öffentlichen Leben. Das ist hochgradig unsozial; es ist nicht übertrieben, jeden eine Bahnverbindung abbestellenden Politiker als einen moralischen (natürlich nicht juristischen) Verbrecher zu bezeichnen. Neben Senioren sind auch Berufstätige von Streckenstilllegungen betroffen; viele von ihnen können eine Arbeitsstelle nicht annehmen, da sie den Arbeitsplatz nicht erreichen können, wenn kein Zug fährt.

Hinweis: Formal gibt es einen Unterschied zwischen der Abbestellung des Zugverkehrs und der formalen Stilllegung einer Bahnstrecke. Ich verwende in meinem Artikel die übliche Bezeichnung der Aufgabe des Zugverkehrs als Streckenstilllegung, da der Einschnitt für die auf Züge angewiesene Bevölkerung im Moment der Aufgabe des Zugverkehrs und nicht bei der formalen Stilllegung erfolgt