Martin Abraham

Kino & Fernsehen

Mihir Bose: „Bollywood. A History“ (Filmbuch)

Mihir Boses englischsprachiges Buch „Bollywood. A History“ von 2007 ist das höchst unterhaltsame Beispiel dafür, was passiert, wenn man einen Wirtschafts- und Sportautor ein Buch über die Filmindustrie von Mumbai/Bombay schreiben lässt. Filmgeschichten können ja manchmal ganz schön anstrengend sein. Da wimmelt es von Aufzählungen von Namen, von Kurzbiographien, Filmtiteln und kurzen Inhaltsangaben, dass dem interessierten Leser schon mal der Kopf brummen kann. (Ein unglaubliches Beispiel hierfür ist eine argentinische Filmgeschichte des Kinderarztes César Maranghello.)

Mihir Bose: „Bollywood. A History“ (Filmbuch)
Mihir Bose: „Bollywood. A History“ (Filmbuch)

Keine Sexsymbole in Bollywood?

Aber Mihir Bose ist nicht nur fachfremd, er hat auch eine kulturelle Distanz. Wie groß diese ist, beschreibt er anhand eines Zusammenseins mit Bollywood-Leuten. Da wagt er es, in aller Unschuld, eine junge Schauspielerin, ein Starlet, zu fragen, wie es denn sei, ein „Sexsymbol“ zu sein. Das hätte er besser nicht gemacht, denn so eine Beleidigung hat es in der Filmwelt vorher nicht gegeben. Das Mädchen weint und Schauspielerlegende Sunil Dutt sorgt durch böse Blicke dafür, dass Bose sich verwirrt dafür entschuldigt.

Anekdoten und Hintergründe

Bose beginnt sein umfangreiches Buch mit einem langen Prolog und stellt hier die Grundlagen, die Entwicklung und Widersprüche dieser Filmindustrie dar.
Er erzählt äußerst amüsant und informativ. Dabei hat er ein besonderes Faible für Anekdoten, für die sich gestandene Filmwissenschaftler (besonders die mit akademischem Hintergrund) ja gerne zu fein sind. Bose interessiert sich also z.B. nicht nur für die künstlerische Bedeutung z.B. eines Kishore Kumar, des legendären Schauspielers und Sängers. Die berühmtesten Geschichten des exzentrischen Lebensstils dieses großen Künstlers, der den Bäumen in seinem Garten Namen gab und ein Schild mit der Aufschrift „Dies ist ein Irrenhaus“ vor seinem Haus hängen hatte, dürfen in diesem Buch nicht fehlen.
Eine der Besonderheiten dieses Buches ist, dass 120 der etwa 380 Seiten den frühen Jahren bis zur Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947 gehören. Hier widmet sich Bose detailliert den frühen Pionieren und dem alten Studiosystem.
Mit Vorliebe sucht Bose sich besondere, repräsentative Themen heraus, so dass zwar manches unter den Tisch fällt, er aber dafür ausführlichere Einblicke geben kann. So beschreibt er die Entstehung des schönen historischen Liebesfilms „Mughal-e-Azam“ und verbindet dies mit einer Darstellung der Romanze zwischen den Stars Dilip Kumar und Madhubala.
Andere Kapitel gehören z.B. dem Superstar Amitabh Bachchan und dem Currywestern „Sholay“, dem neben „Mother India“ wohl berühmtesten indischen Film.
Und da es sich hier nicht nur um eine Film- sondern auch um eine Industriegeschichte handelt, zeigt Bose auch die politischen Zusammenhänge zwischen Politik und Film z.B. während der Zeit unter Indira Ghandi, die Indien ja eine Zeit des Ausnahmezustands bescherte. Sogar über Filmzeitschriften wird der Leser informiert.
Im Großen und Ganze hat Bose eine Vorliebe für das etwas andere, anspruchsvollere Bollywood. Ein längeres Interview mit dem Regisseur Shyam Benegal durchzieht das Buch. Außerdem zeigt er großes Interesse für Aamir Khan, den Intellektuellen unter den großen Stars, und den er ganz offensichtlich Shah Rukh Khan vorzieht. Dies hängt aber auch damit zusammen, dass 2002 der Spielfilm „Lagaan“ von Ashutosh Gowariker für den Oscar nominiert war.
Und die Gelegenheit, viele Seiten einem außergewöhnlichen Film über Cricket zu widmen, lässt sich Cricketspezialist Mihir Bose (5 Bücher zu dem Thema) natürlich nicht entgehen.