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Geschlossene Geschäfte in Berliner Bahnhöfen und seltene Regeln in Bayern

Reisebedarf - seltsame Interpretationen in Berlin und Bayern

Die Ladenschlussgesetze sind inzwischen Ländersache. Daran, dass außerhalb der Ladenschlusszeiten und somit überwiegend an Sonntagen und Feiertagen an Bahnhöfen und Tankstellen nur Reisebedarf an Reisende verkauft werden darf, hat sich nichts geändert. Ebenso in den meisten Bundesländern nicht, dass Büdchen und Kioske Süßigkeiten und Getränke jederzeit verkaufen dürfen – nur Berlin hat sich mit der Verwandlung der lütten Verkaufsbuden in Spätverkaufsstellen für ein komplizierteres Erlaubnissystem entschieden. Abenteuerlich sind auch zwei Definitionen des Reisebedarfes oder der Reisenden in Berlin und Bayern.

Berlin – wo Bekleidung im Gegensatz zu Sexspielzeug nicht zum Reisebedarf gehört
In Bahnhöfen ist es weltweit üblich, dass alle Geschäfte geöffnet sind. Als Reisende werden der Einfachheit alle sich innerhalb des Bahnhofgebäudes aufhaltende Besucher eingestuft, auch wenn sie gerade keine Fahrkarte haben. Der Hinweis, dass an Sonn- und Feiertagen nur Reisebedarf an Reisende verkauft werden kann, wird kaum beachtet. Berlin fällt jedoch als Ausnahme im System auf. Zwar lässt sich auch in Berlin jederzeit die noch im Ofen aufzubackende Fertigpizza kaufen, denn Lebensmittelläden im Bahnhof dürfen jederzeit geöffnet sein und was die entsprechenden Geschäfte genau verkaufen, interessiert nicht. Bekleidungsgeschäfte und Schuhläden in Berliner Einkaufsbahnhöfen müssen aber an Sonntagen und an Feiertagen geschlossen bleiben, während Sexshops öffnen dürfen. Wer schon einmal mit der Bahn gereist ist, weiß, wie leicht sich dank der unvermeidbaren Fahrbewegungen ein Getränk auf das T-Shirt verirrt. Dass der Schuh gelegentlich unterwegs reißen kann und das bevorzugt bei Tages- oder Wochenendausflügen tut, wenn der Reisende keine Ersatzfußbekleidung mit sich führt, versteht sich von selbst. Somit wäre es doch eigentlich logisch, T-Shirts, Sandalen und Schuhe sowie andere Bekleidungsstücke für den Fall der dringend notwendigen Ersatzbeschaffung als Reisebedarf anzuerkennen und den entsprechenden Bahnhofsläden das Öffnen an allen Wochentagen zu erlauben. Der Berliner Senat hat jedoch entschieden, dass Fahrgäste, nachdem sie sich an Feiertagen ein Getränk über das T-Shirt geschüttet haben, mit verschmutzter Kleidung weiterfahren müssen. Gut, im Berliner Hauptbahnhof gibt es tatsächlich eine Notlösung: Der Berlin-Souvenir-Laden darf geöffnet haben und verkauft auch T-Shirts mit werbenden Berlin-Motiven. Wem diese gefallen, hat Glück gehabt. Das Öffnungsverbot an Sonntagen und Feiertagen für in Berliner Bahnhöfen gelegene Schuhhandlungen und Bekleidungsgeschäfte ist schon absurd genug. Endgültig auf die Spitze getrieben wird die Absurdität jedoch dadurch, dass der Sexshop im Bahnhof Berlin-Lichtenberg öffnen darf. Warum Fahrgäste der Bahn unterwegs Sexspielzeug benötigen sollen, erschließt sich mir nicht – während es für den Noterwerb eines T-Shirts durchweg triftige Gründe gibt.

An bayerischen Tankstellen sind Radfahrer keine Reisende
An Tankstellen in Bayern gelten RadfahrerInnen nicht als Reisende, da der Gesetzgeber als solche ausdrücklich Kraftfahrer definiert. Damit darf der Tankwart an Sonntagen und Feiertagen Getränke und Naschereien an Autofahrer verkaufen, wenn diese mal eben mit dem Wagen vom in der Nebenstraße gelegenen Hof vorfahren. RadfahrerInnen sind hingegen dem bajuwarischen Gesetz zufolge keine Reisende, selbst wenn sie Tagesetappen von mehr als einhundert Kilometern zurücklegen und dringend auf die Flüssigkeitszufuhr und die Nahrungsaufnahme angewiesen sind. Da stellt sich die Frage, ob die bayerischen Landtagsabgeordneten tatsächlich noch nicht wahrgenommen haben, dass ihr Bundesland bei Radtouristen als Reiseziel beliebt ist. Im Gegensatz zu Bahnhöfen in Berlin gibt es an Tankstellen in Bayern immerhin eine gesetzlich vorgesehene Umgehungsstrategie: Mit Genehmigung der Gemeinde können Tankstellen auch an vorgebliche Nichtreisende, also an RadtouristInnen mit dreistelliger Tageskilometerleistung, verkaufen, wenn sie den Alkoholverkauf für alle Kunden begrenzen. Von dieser Möglichkeit machen nahezu alle Stationen Gebrauch, was sinnvoll ist. Schließlich lässt sich Bier angesichts der gesetzlichen Promillegrenze am Steuer nur schwer als Reisebedarf für AutofahrerInnen interpretieren.