helmut.agnesson

Nicht alle Schreibvarianten sind gleichermaßen sinnvoll

Schreibweise des langen und offenen O-Lautes im Niederdeutschen

Es gibt im Plattdeutschen keine verbindliche Rechtschreibung, allerdings einige als Empfehlungen zu verstehende Schreibregeln. Diese lassen die Anpassung an regionale niederdeutsche Dialekte ausdrücklich zu, so dass diejenigen, die in Mecklenburg und in Teilen Brandenburgs Mirrwoch und Mirracheten (statt dem in anderen plattdeutschen Gebieten üblichen Mittwoch und Middageten) sagen, das auch entsprechend schreiben. Relativ einheitlich im Schriftbild wird realisiert, dass ein aus einem verdoppelten /n/ entstandener [ng]-Laut weiterhin als /nn/ geschrieben wird, somit lautet die übliche Schreibform anners (hochdeutsch anders, niederdeutsche Aussprache [angers], während der hochdeutsche Satz “Ich singe“ natürlich als “Ik sing“ (oder je nach Aspekt als “Ik bün am singen“) geschrieben wird.

Entgegen zahlreicher Schreibkonventionen stellt sich die Schreibung des langen offenen [o]-Lautes in der niederdeutschen Schrift uneinheitlich dar. Dieser Laut existiert im Hochdeutschen nicht, dort ist das O entweder kurz und offen oder lang und geschlossen; dem plattdüütschen langen O steht in der hochdeutschen Aussprache zumeist ein langes A gegenüber. Ein solches gibt es im Niederdeutschen wiederum nur in wenigen Ausnahmefällen: Ein kleines Gebiet rund um die niedersächsische Stadt Celle spricht anstelle des gemeinniederdeutschen offenen [o]-Lautes bevorzugt ein langes [a]. Des Weiteren längt ein ursprüngliches und einfaches innersilbisches /r/ in vielen Gebieten des niederdeutschen Sprachgebietes den vorhergehenden Vokal, während es selbst nicht ausgesprochen wird. (Das ist nicht überall der Fall, in anderen Gebieten wird aus dem /r/ in der Aussprache ein gemurmeltes kurzes [a].). Wenn ein /a/ durch ein /r/ gelängt wird, bleibt es in der Aussprache bei einem [a], der Wandel zu einem offenen [o] tritt nicht ein. Die dritte scheinbare Ausnahme ist das Wort Daag (hochdeutsch Tag), bei welchjenem in den meisten niederdeutschen Dialekten das /a/ ebenfalls als oftmals langes [a] gesprochen wurde. Die Erklärung hierfür ist recht einfach: Ursprünglich wurde Daag (vielfach auch als Dag geschrieben) mit einem kurzen [a] ausgesprochen, die Längung trat erst später ein. (Auch im Hochdeutschen gibt es die kurze und lange Vokalaussprache bei Tag; in vielen Gebieten wird das Wort zur Begrüßung mit einem kurzen und als eigentliches Substantiv mit einem langen [a] ausgesprochen; die hochdeutsche Längung hat sich auf das Plattdeutsche übertragen).

Das lange offene [o] des Niederdeutschen wird teilweise direkt als solches bezeichnet, teilweise aber auch als eine Verdumpfung des [a] zum [o] hin erklärt. In jedem Fall ist die tatsächliche lautliche Realisierung heute ein langes offenes [o], lediglich im Westfälischen erfolgt eine Diphtongierung zu [oa]; das ist aber nicht ungewöhnlich, da westfälisches Plattdeutsch generell zu Doppellauten neigt, der Fachbegriff hierfür lautet Westfälische Brechung.

Wenn in der Schreibung für das lange offene [o] das Zeichen /oo/ verwendet wird, lässt sich das offene nicht mehr vom geschlossen zu sprechenden [o] unterscheiden; das Plattdeutsche kennt selbstverständlich auch ein geschlossenes langes [o] wie im Wort Boot (hat dieselbe Bedeutung wie im Hochdeutschen). Aus diesem Grund halte ich die in den 1980er Jahren urplötzlich aufgetretene Tendenz, das offene ebenso wie das geschlossene [o] als /oo/ zu schreiben, für extrem missverständlich und bin froh, dass diese Gepflogenheit sich in den 1990er Jahren weitgehend wieder zur traditionellen Schreibweise /aa/ geändert hat. Diese ist deutlich lautgetreuer, da es mit wenigen Ausnahmen kein langes [a] auf Plattdeutsch gibt und diese Ausnahmen meistens aus einer sekundären Längung infolge des Verstummens eines [r] resultieren. Ihr könnt natürlich sagen, dass die Uneindeutigkeit nur für Leserinnen und Leser der niederdeutschen Texte besteht, welchjene nicht zugleich Hochdeutsch schnacken, da andere durch das entsprechende hochdeutsche Wort wissen, ob ein /o/ offen oder geschlossen zu sprechen sei. Abgesehen davon, dass dieser Schluss von einer Sprache auf die andere in den Fällen nicht möglich ist, in welchen dem niederdeutschen Begriff kein ähnliches hochdeutsches Wort gegenübersteht, stellt sich die Frage, ob es für die plattdeutsche Sprache nicht doch  wünschenswert ist, wenn sie ohne Lütters-Kenntnisse nicht richtig interpretiert werden kann. Viele Autoren in der Uckermark schreiben das lange offene [o] als /å/. Diese Schreibung ist tatsächlich die eindeutigste Variante. Ihre Anwendung setzt natürlich voraus, die von einigen plattdeutschen Grammatikern aufgestellte Schreibregel nicht anzunehmen, nach welcher nur auch im Hochdeutschen vorkommende Schriftzeichen verwendet werden sollen. Wirklich Sinn måkt diese Regel tatsächlich nich, da Lütters und Plattdüütsch twee verschiedene Språken sündt. Einige verdoppeln das /å/ in der Schreibung, was dem Schriftbild dieselbe Anzahl an Buchstaben wie bei der Schreibung /aa/ verleiht. Ein weiteres Beispiel, welches diese Regel ebenfalls nicht konsequent umsetzt, ist die vor allem in Mecklenburg tradierte Darstellung des offenen [ö]-Lautes durch das Schriftzeichen /œ/.

Fazit: Die Schreibung des niederdeutschen langen offenen [o]-Lautes als /oo/ ist missverständlich und ungeschickt, zu bevorzugen sind die Schreibungen /aa/ oder /å/. Die Doppelschreibung /åå/ ist nicht zwingend notwendig, da das Zeichen /å/ immer für den langen und offenen [o]-Laut steht, sie schadet aber auch nicht, sondern führt für Lesende möglicherweise zu einem vertrauteren Schriftbild, welches nicht zuletzt auf Grund der identischen Buchstabenanzahl den Texten der Autorinnen und Autoren ähnelt, welchjene /aa/ zur Lautwiedergabe verwenden.