helmut.agnesson

Einen Platz gefunden zu haben, heißt nicht, diesen bis an das Reiseziel zu behalten

Spätreservierungen - keine gute Idee der Bahn

Mit der Bahn fahren, einen Platz suchen, diesen finden, sich hinsetzen und die Reise im Zug genießen – so schön kann Bahnfahren sein. Leider gilt das in Fernzügen (ICE und IC) nur noch bedingt, denn die Möglichkeit der Spätreservierung für jeden einzelnen Sitzplatz im gesamten Zug bewirkt, dass jeder Fahrgast an jedem einzelnen Bahnhof damit rechnen muss, von seinem gefundenen Sitzplatz vertrieben zu werden. Allzu häufig geschieht das zwar noch nicht, aber alleine die Gefahr kann das Bahnfahren verleiden.

Die Geschichte der Spätreservierung
Ursprünglich mussten Reservierungen spätestens eine Stunde vor der Abfahrt des Zuges an seinem Ausgangsbahnhof vorgenommen werden. Danach galten nicht reservierte Plätze während der ganzen Fahrt als frei. Heute sind die Nicht-Reserviert-Schilder durch eine Gegebenenfalls-Freigeben-Beschilderung abgelöst. Die Ursache besteht in der Möglichkeit zur Spätreservierung im ganzen Zug. Die nachträgliche Platzreservierung hat die Bahn zwar bereits Ende des zwanzigsten Jahrhunderts eingeführt, diese aber zunächst auf einen bis zwei Wagen je Zug begrenzt. Diese Eingrenzung des Angebotes zur Platzreservierung nach der Abfahrt des Zuges wurde aufgegeben, stattdessen steht Fahrgästen für die Spätreservierung jeder Platz im Zuge zur Verfügung. Inzwischen wurde selbst die Sicherheit vor der Verdrängung durch SpätreserviererInnen im ersten beziehungsweise letzten Wagen eines IC(E)-Zuges aufgehoben, denn die Bahn reserviert nicht mehr zwingend von der Zugmitte aus. Stattdessen kann jedeR ReserviererIn sich einen beliebigen Platz im Zug aussuchen und diesen für sich in Anspruch nehmen, auch wenn dieser beim Einstieg eines anderen Fahrgastes frei und nicht als reserviert gekennzeichnet war. Das, liebe Bahn, geht nicht und gehört schleunigst wieder abgeändert.

Spätreservierungen müssen nicht abgeschafft, aber wieder begrenzt werden
Den Sinn einer Platzreservierung zu verstehen, fällt mir bei Einzelreisenden schwer. Dass Familien und größere Reisegruppen reservieren und dadurch das Zusammensitzen erreichen, kann ich nachvollziehen. Bei Einzelreisenden erscheint es mir jedoch einerseits als Snobismus und andererseits als Verzicht auf das Erlebnis der Platzsuche. Wenn Reisende auf dieses Erlebnis verzichten und dafür bezahlen wollen, steht ihnen das selbstverständlich frei – aber bitte nicht im unvertretbaren Umfang auf Kosten der Mitreisenden. Dass ein bereits von einem Reisenden eingenommener Platz nachträglich reserviert wird, ist unerträglich. Falls die Bahn einen Bedarf für Spätreservierungen erkannt hat, bietet sich weiterhin die entsprechende Möglichkeit in einem bis zwei Wagen je Fernzug an. Wer sich beim Bahnfahren auskennt, setzt sich dann nicht gerade auf die Plätze, welchjene zur Nachreservierung freigegeben sind. Die jetzige Regelung wirkt einem entspannten Bahnfahren entgegen oder bewirkt, dass bei geringer Zeitersparnis immer mehr Fernreisende Nahverkehrszüge benutzen – wodurch die Bahn (bei Bedienung der Nahverkehrsstrecken durch private Mitbewerber die jeweilige Privatbahn) doppelte Einnahmen (Bestellung der Verkehrsleistungen durch die Bundesländer und Verkauf von Fernfahrkarten – die meisten Verkehrsverträge sehen eine Anrechnung der Fahrgeldeinnahmen auf die Zahlungen der Länder nur für Nahverkehrstickets vor) erhält. Im Intercity gibt es tatsächlich noch einen Platzbereich, aus welchem die Vertreibung unmöglich ist: Die Klappsitze im Fahrradabteil sind nicht an das Reservierungssystem angeschlossen und Radfahrer erhalten mit der Reservierung ihres Fahrradstellplatzes automatisch einen Sitzplatz innerhalb des jeweiligen Wagens zugewiesen. Dass in vielen anderen europäischen Staaten im Schnellverkehr eine Reservierungspflicht besteht, trifft zwar zu, ist aber kein Argument für die vollständige Zugfreigabe zur Nachreservierung. Vielmehr hat die Bahn vollkommen richtig erkannt, dass Fahrgäste in Deutschland eine Reservierungspflicht nicht akzeptieren und sie durch eine generelle Platzkartenpflicht einen erheblichen Teil ihrer Fahrgäste verlieren würde.