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Fairer Sport oder Nichtangriffspakt?

Und wieder droht ein Nichtangriffspakt

Letztes Gruppenspiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Spanien 1982. In Gijón treffen Deutschland und Österreich aufeinander. Ein knapper deutscher Sieg führt dazu, dass beide weiterkommen und Algerien ausscheidet. Würde Deutschland nicht gewinnen, wären Österreich und Algerien weiter. Bei einem hohen deutschen Sieg wäre Österreich ausgeschieden und Algerien weitergekommen. Deutschland gewann nach einem Tor von Horst Hrubesch in der zehnten Minute 1:0. Viele damalige FernsehzuschauerInnen erinnern sich an ein anschließendes Spiel ohne Torszenen. Ganz so schlimm war es nicht, bis zur Halbzeitpause versuchten beide Teams durchaus noch, ein (weiteres) Tor zu erzielen. Danach war aber Schluss mit allen Bemühungen, stattdessen schoben sich beiden Mannschaften den Ball freundlich zu. Inzwischen haben einige der Beteiligten zugegeben, dass Absprachen zwischen der deutschen und der österreichischen Elf in der Halbzeitpause erfolgten, das Ergebnis so zu lassen, denn damit waren beide Teams weiter und Algerien ausgeschieden. Die ZuschauerInnen im Stadion quittierten das Spiel mit deutlichen Missfallensäußerungen. Eine Konsequenz des Nichtangriffspaktes war, dass nach dem Turnier in Spanien der letzte Spieltag jeder Gruppe parallel absolviert wird.

Brasilien 2014. Fußball-Weltmeisterschaft. Am letzten Spieltag werden Deutschland und die USA aufeinandertreffen. Die gleichzeitige Austragung des letzten Gruppenspieltages macht Absprachen weniger wahrscheinlich, schließt sie aber nicht völlig aus. Mit einem Unentschieden stehen Deutschland und die USA im Achtelfinale. Bei der Niederlage eines und dem damit untrennbar verbundenen Sieg des anderen Teams kann das unterlegene ausscheiden. Deutschland hat selbst bei einer Niederlage auf Grund des beeindruckenden Torverhältnisses nach einem 4:0 Sieg gegen Portugal weiterhin gute Chancen auf das Weiterkommen, während die USA Ghana 2:1 besiegten. Das zweite Gruppenspiel beider Teams ging jeweils 2:2 aus, gegen Ghana (Deutschland) oder Portugal (USA). Bei der Fußball-Weltmeisterschaft zählt die Gesamtleistung stärker als das Ergebnis gegen einen einzelnen Gegner. Bei Punktgleichheit ist das Torverhältnis das erste Kriterium für die Tabellenfestsetzung. Ich halte das für besser als den direkten Vergleich, wie die UEFA bei der Europameisterschaft inzwischen die Vorrundentabellen festlegt, denn so wird die gesamte Leistung über die Turnierphase hinweg und nicht das teilweise zufällige Ergebnis gegen den punktgleichen Mitbewerber am höchsten bewertet. Ghana und Portugal können bei einem ausreichend hohen Sieg das Achtelfinale erreichen, indem der Gewinner der Partie das Torverhältnis zum unterlegenen Team im Match zwischen Deutschland und den USA ausgleicht – was bei einer US-Niederlage am ehesten zu schaffen sein wird. Spielen Ghana und Portugal unentschieden gegeneinander, haben sie keine Chance mehr auf die Achtelfinalqualifikation.

Spieler, Trainer und Verantwortliche der Nationalmannschaften aus Deutschland und den USA beteuern, dass sie auf Sieg spielen werden und es in keinem Fall zu einer Absprache hinsichtlich des Unentschiedens kommen werde. Sollte das Spiel remis enden, besteht jedoch genau dieser Anfangsverdacht, zumal Deutschland bereits in der entsprechenden Hinsicht vorbelastet ist.

Die FIFA könnte ganz leicht etwas gegen Absprachen und Nichtangriffspakte unternehmen. Sie müsste einfach die Nichtwahrnehmung der Siegchance in derartigen Fällen mit einer Disqualifikation der betroffenen Teams bestrafen. Da niemand zugeben wird, dass er Absprachen vornimmt, wird es gegen die dafür notwendige Regeländerung sicher keine Proteste geben. Bislang bestraft die FIFA Absprachen nur, wenn diese mit einem Wettbetrug verbunden sind. Ein solcher wäre das Unentschieden zwischen den USA und Deutschland eher nicht, zumal die meisten Wetter ohnehin mit einem Unentschieden rechnen. Die Buchmacher werden die Quoten für ein Remis niedriger als üblich annehmen und massenhaft Wetteinsätze auf einen unentschiedenen Spielausgang zwischen den USA und Deutschland entgegennehmen. Die Bestrafung von nicht wahrgenommenen Siegchancen mit einer Disqualifikation hätte noch einen weiteren Vorteil, denn nach einem Unentschieden – selbst wenn es aus dem fairen Spielverlauf resultieren sollte – besteht der Anfangsverdacht der Absprache gegen die deutsche Nationalmannschaft, so dass die FIFA eine Untersuchung einleiten müsste. Diese könnte möglicherweise zeigen, dass die Partie korrekt unentschieden geendet ist und ungerechtfertigten Verschwörungstheorien vorbeugen.

Nachtrag nach dem Spielende

Das Spiel endete 1:0 für Deutschland. Dennoch sind beide weiter, da das Parallelspiel von Portugal gewonnen wurde. Unter dem Verdacht der Absprache steht der knappe deutsche Sieg nicht, dafür war das Ergebnis für die USA zu heikel. Hätte Ghana statt Portugal den Siegtreffer geschossen, wären die Afrikaner dank des besseren Torverhältnisses weitergekommen. Dass im Achtelfinale Algerien auf Deutschland wartet, ist angesichts des dort nicht vergessenen Skandalspiels von Gijón interessant.